Der Smart Meter-Einbau in Deutschland ist alles andere als eine Erfolgsstory. Hierzu unsere Glosse:
Am Anfang des Jahrtausends sollen Zählerhersteller eine kurze Goldgräberstimmung gehabt haben: Smart Meter für Deutschland – ein riesiger Markt! Die Begeisterung währte allerdings nur kurz und wich schnell allgemeiner Ernüchterung. Anders als viele andere Staaten tat sich Deutschland mit Smart Metern von vornherein schwer, was nicht zuletzt an einer besonders sensiblen Einstellung der Bevölkerung zum Datenschutz liegen mag.
Verstehen Sie als intelligenter und moderner Mensch den Unterschied zwischen „intelligentem Messystem“ und „moderner Messeinrichtung“?
DEN Smart Meter gibt es in Deutschland gar nicht, die Rede ist von „intelligenten Messsystemen“ und „moderne Messeinrichtungen (mME)“. Die Begriffe sind etwas unglücklich gewählt und werden in weiten Teilen der Bevölkerung nicht auseinandergehalten: Fragen Sie mal jemanden außerhalb der Energiebranche, ob er weiss, welches der beiden Geräte über einen Smart-Meter-Gateway an ein Kommunikationsnetz angeschlossen ist und bei welchem eine manuelle Ablesung weiterhin erforderlich ist. Rollierende Displayanzeigen und PIN-Eingaben per Taschenlampe sind vielleicht auch nicht die nutzerfreundlichste Vorgehensweise bei modernen Messeinrichtungen. Dies zeigte nicht zuletzt Eric Kallmeyer von Stromnetz Hamburg eindrucksvoll, dessen extra3-Beitrag 2017 viral ging und sich mit über 1,8 Mio. Aufrufen hoch in den YouTube-Charts platzieren konnte.
Wohnen in Ihrem Haushalt 5 (oder mehr) Personen?
Zurück zu den intelligenten Messsystemen: Später als in europäischen Nachbarländern gab es 2016 mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende endlich eine Planungsgrundlage. Grob gesagt gibt es eine Einbauverpflichtung von Smart Metern in Haushalten mit einem (durchschnittlichen) Stromverbrauch von über 6.000 Kilowattstunden pro Jahr. Der kundige Verbraucher findet im Internet Angaben, nach denen der durchschnittliche Jahresverbrauch pro Bundesbürger bei 1.300 Kilowattstunden liegt. Rein rechnerisch haben demnach also nur Haushalte mit 5 und mehr Personen einen Jahresverbrauch, der einen Smart Meter-Einbau erfordert. Laut statista waren das im Jahr 2019 weniger als 3,5 Prozent aller deutschen Haushalte.
Wie häufig wollen Sie nachts waschen?
Die allermeisten Privathaushalte müssen also gar keinen Smart Meter einführen, dürfen aber sehr wohl. Nur: Was soll diese Haushalte dann zu einer freiwilligen Einführung motivieren? Bei dieser regelmäßig auf Konferenzen gestellten Frage antworteten Referenten regelmäßig „Weil Verbraucher dann ihre Waschmaschine nachts laufen lassen können und dank Smart Meter von niedrigen Stromtarifen profitieren“. Nun ja, der/die ein oder andere Konferenzteilnehmer:in verdrehte bereits die Augen beim Gedanken daran, von Schleudergängen nächtlicher Waschsessions unsanft aus dem Schlag geweckt zu werden. Die Zeit schrieb dazu unter der Überschrift „Intelligenz, die keinem hilft“: „Wer seine Waschmaschine, den Geschirrspüler oder die Gefriertruhe mit Billigstrom laufen lässt, kann damit dann aber kaum mehr als 20 Cent am Tag sparen.“ Allerdings „Allein für den Ersatz des klassischen Stromzählers durch ein Smart Meter werden rund 100 Euro im Jahr fällig.“ Nach Adam Riese rechnet sich also ein Smart Meter für den deutschen Michel, wenn er seine Waschmaschine, seinen Geschirrspüler und seine Gefriertruhe an mindestens 500 Nächten pro Jahr laufen lässt… Zugegeben: Den Break-Even erreicht man beim regelmäßigen nächtlichen Aufladen eines Teslas schneller – nur muss man dann eben die Anschaffungskosten eines Teslas mit in die Kalkulation aufnehmen. Die Verbraucherschutzzentrale schreibt dazu: „Als Verbraucher können Sie sich gegen einen beschlossenen Einbau nicht wehren, obwohl teils erhebliche jährliche Kosten entstehen können.“ Halten wir fest: Es fehlt an überzeugenden Argumenten zur freiwilligen Anschaffung eines Smart Meters.
Start 2020: Von Euphorie keine Rede
Wie ging es nach dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende aus dem Jahr 2016 weiter? Zunächst einmal wurden technische Anforderungen an die intelligenten Messsysteme definiert und die Hersteller mussten nachweisen, dass die diese Standards erfüllen – beispielsweise zur Datensicherheit und zur Interoperabilität, also der sicheren Kommunikationsfähigkeit mit anderen Systemen unterschiedlichen Typs oder anderer Herstellern. In langwierigen Abstimmungsrunden und Arbeitskreisen der Branche wurden alle technischen Details zur Bewältigung der hohen Komplexität mit der Gründlichkeit deutscher Ingenieure abschließend geregelt – meinte man. Offen bleibt die Antwort auf die Frage, ob der Einbau der Sprinkleranlage am Berliner Flughafen oder die Interoperatibilität von Smart Metern komplexer ist. Eine besondere Rolle kam dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu: Die ganze Branche erwartete mit Spannung die amtliche Feststellung des BSI, das mindestens drei voneinander unabhängige Unternehmen intelligente Messsysteme am Markt anbieten, die den definierten Anforderungen genügen. Diese sogenannte Markterklärung des BSI kam deutlich später als erwartet, aber am 30.01.2020 war es so weit: Der Smart Meter-Einbau in Deutschland kann beginnen!
Was hat sich seitdem getan? Man kann allenfalls von einem gedämpften Tempo des Smart Meter-Einbaus sprechen. Die Branche stöhnt über hohe technische Komplexität und die Corona-Krise hat die enormen logistischen Anforderungen weiter erhöht. Marktführer E.ON vermeldete im Dezember 2020 den Einbau von 20.000 Smart Metern – das klingt nicht wirklich nach einer Erfolgsmeldung.
2021: OVG stoppt Smart Meter-Einbau
Und dann kam der 05.03.2021. Rund 50 Messstellenbetreiber lassen sich von Becker Büttner Held (BBH) vertreten und ziehen vor Gericht. Und tatsächlich lautet die Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster: Der verpflichtenden Einbau intelligenter Messsysteme ist „voraussichtlich rechtswidrig“. Die am Markt angebotenen Geräte seien nicht wie gesetzlich vorgeschrieben hinsichtlich der geforderten Interoperabilität zertifiziert und eine solche Zertifizierung sei auch nicht möglich, da sie die gesetzlich vorgeschriebene Anforderung, Daten mit anderen Systemen unterschiedlichen Typs oder Herstellern auszutauschen, nicht erfüllen. Was auch immer die rund 50 Messstellenbetreiber zur Klage motiviert haben mag: Der OVG-Entscheid schreckt die Branche auf, die Presse spricht von einer schallenden Ohrfeige und einem gerichtlich bestätigten Fehlstart beim Smart Meter-Rollout. „Schlechte Info, falsche Produkte und am Ende zu teuer“ – das ist das Fazit einer aktuellen Umfrage von Bearing Point zum Thema Smart Metering.
Und nun?
Wie auch immer diese Never-Ending-Story weitergeht: Der ohnedies schleppende Smart Meter-Einbau ist vorerst gestoppt. Das Stopp-Foto im BBH-Blog zeigt die momentane Smart Meter-Lage realistischer als das (ursprüngliche?) „läuft“-Slogan des FNN Fachkongresses ZMP 2021. Ein schwacher Trost: Der Berliner Flughafen ist Ende 2020 in Betrieb genommen worden – ganze 13 Jahre später als ursprünglich geplant. Es wird in Deutschland viele Jahre dauern, bis Smart Meter für Stromzähler (und erst recht für Gas- und Wasserzähler) flächendeckend eingebaut sind. In den kommenden Jahren müssen Zähler in deutschen Kellern also weiter ganz überwiegend von Menschen erfasst werden. Daher richtet sich der Blick verstärkt darauf, unverletzte Zähler möglichst effizient und einfach zu erfassen.
Smartphone Metering statt Smart Meter
Übrigens: pixolus bietet Versorgern Lösungen, um bereits jetzt in die digitale Welt zu starten. Nutzer brauchen zur Ablesung der Zählerstände nur ein Smartphone – und das hat ja heute jeder. Mehr dazu auch in der Pressemitteilung von pixolus. (SKr)
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